Gesundheit fängt im Mund an

TextAlexandra Brechlin

Rund 50 Milliarden Bakterien bevölkern die Mundhöhle des Menschen. Sie fühlen sich am wohlsten in den Belägen, die auf der Zahnoberfläche haften.

Werden diese nicht regelmäßig ordentlich entfernt drohen nicht nur Zahnerkrankungen wie Karies – auch schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen können die Folge mangelnder Mundhygiene sein.

Der Zahnfleischsaum: Das Tor zur Mundgesundheit

Hier sammeln sich Bakterien besonders schnell, hier sind sie besonders schwer zu entfernen. Und hier passieren beim Zähneputzen die meisten Fehler. Ganz intuitiv wenden viele Menschen besonders viel Druck an, wenn sie beim Zähneputzen zur Furche zwischen Zahn und Zahnfleisch gelangen. Tatsächlich sammeln sich Bakterien gerade hier im Zahnfleischsaum besonders schnell, strukturieren sich und bilden Plaque. Und tatsächlich ist gerade diese Stelle besonders schwer zu reinigen.

 

 

 

Doch erhöhter Druck macht alles nur schlimmer – besonders, wenn eine Zahnbürste mit harten Borsten verwendet wird. Es kann zu Verletzungen am Zahnfleisch kommen, die anfänglich nicht zu spüren sind. Solche Verletzungen werden häufig erst dann bemerkt, wenn sich das Zahnfleisch zurückgebildet hat und die Zahnhälse freigelegt sind. Plaque am Zahnfleischsaum muss besonders sorgfältig entfernt werden. Sonst droht Karies – und vor allem eine Zahnfleischentzündung (Gingivitis). Eine solche Entzündung ist fatal, weil sie über Jahre hinweg schleichend zu Parodontitis führt, also den Zahnhalteapparat angreift und auflöst.

Das Herz in Gefahr

Mangelnde Pflege schadet übrigens nicht nur den Zähnen und dem Zahnfleisch. Gelangen die bakteriellen Giftstoffe (Toxine) aus dem Mund in das entzündete Zahnfleisch und von dort in den Blutkreislauf, dann bringen sie Herz und Lungen in Gefahr sowie Hirn und Immunsystem. Tatsächlich empfehlen auch Hausärzte zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen: gesunde Ernährung, Bewegung und Zahnpflege. Wer also dem Zahnfleischsaum besondere Beachtung schenkt, hat mehr vom Leben: Freude, schöne Zähne, gesundes Zahnfleisch – und senkt das Risiko von Zahnfleischentzündung und ihren Folgeschäden. Unter anderem stehen parodontale Erkrankungen in Verbindung mit Hirnschlag, Herzkrankheiten und Diabetes.

Der Biofilm: Aus Freund wird Feind

Was haben Steine in Bächen und Zähne im Mund gemeinsam? Über beide legt sich Biofilm, bei Zähnen auch „Plaque“ genannt. Während Steine jedoch nur glitschig werden, so kann Biofilm bei den Zähnen zur Ursache von ernsten Problemen werden. Dieser Belag macht krank – wenn er nicht ordentlich entfernt oder in seinem schichtweisen Aufbau desorganisiert wird. Zunächst entsteht die Pellikel. Dieser hauchdünne Niederschlag, bestehend aus Eiweißen und anderen Bestandteilen des Speichels, legt sich innerhalb von etwa 24 Stunden über die frisch gereinigten Zähne: Biofilm, wie er in der Natur etwa auf den Steinen in Bächen vorkommt, hat sich gebildet – gerade mal einige Mikrometer dick, relativ frei von Bakterien und ziemlich leicht abspülbar.



Die Pellikel ist ein Freund. Sie ist grundsätzlich wertvoll, denn als initialer oraler Biofilm schützt sie die Zähne gleich zweifach: einerseits vor Säureangriffen und andererseits davor, dass beim Kauen durch Nahrung oder durch andere Zähne Zahnschmelz abgerieben wird.



Doch mit der Zeit wendet sich – zumindest in diesem Fall – das Gute zum Schlechten. Denn bald schon siedeln sich Bakterien an. Eine erste Schicht von Plaque beginnt sich zu bilden. Wird diese Schicht von Plaque nicht in ihrem Wachstum gestört, sammeln sich auf ihr schnell neue Mikroorganismen an, die sich laufend vermehren. Neue Schichten entstehen; man spricht davon, dass die Plaque sich strukturiert.



In dieser strukturierten Plaque kleben die Bakterien nicht einfach aneinander. Vielmehr bilden sie eine strukturierte Lebensgemeinschaft, in der sie sich gegenseitig systematisch und über eigens gebildete Kanäle mit Stoffwechselprodukten versorgen. Es bilden sich Ketten von Eiweißen und Kohlenhydraten. Diese Ketten dienen als Nahrungsreserven und, besonders problematisch, sie verstärken den Belag mechanisch. Sowohl die Stoffwechselprodukte wie auch die mechanische Verstärkung sind gut für die Plaque, aber schädlich für die Mundgesundheit.

Die Folgen: Karies, Gingivitis, Parodontitis

In dieser strukturierten Plaque gibt es Mikroorganismen, deren Wachstum durch einen hohen Zuckerkonsum begünstigt wird. Diese Mikroorganismen sind in der Lage, Kohlenhydrate wie Zucker zu verwerten, und dabei scheiden sie Säuren aus, die die harte, rund 2,5 Millimeter starke Schutzschicht aus Zahnschmelz auflösen – es entsteht Karies. Dringen die Keime bis zum Zahnbein vor, so können Löcher in den Zähnen entstehen. Ohne Behandlung entzündet sich das Zahnmark; heftige Schmerzen sind die Folge.



Solche Karies auslösende Bakterien siedeln sich gerne in den Nischen auf der Kaufläche, in den Zahnzwischenräumen und am Zahnfleischsaum rund um die Zähne an – also durchwegs an Stellen, von denen sie nur schlecht zu entfernen sind und wo sie sich ziemlich ungestört entwickeln können.



Weil die Bakterien Kohlenhydrate in Säure umwandeln, wird Kariesbildung durch Süßigkeiten, Lebensmittel und Getränke gefördert, die Zucker (auch Frucht- und Milchzucker) enthalten. Kommen noch Säuren hinzu, wie sie in Nahrungsmitteln wie Obstsäften oder Früchten enthalten sind, wird der Zahnschmelz zusätzlich angegriffen.



Dazu kommen die Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen. Diese Stoffwechselprodukte reizen die Immunabwehr des Menschen und führen zusammen mit natürlichen Zerfallsprodukten der Zellwand zu einer Entzündung des Zahnfleisches, der Gingivitis. Bleibt die Gingivitis unbehandelt, so kann Parodontitis die Folge sein. Während Karies den einzelnen Zahn zerstört, befällt Parodontitis den gesamten Zahnhalteapparat – erst das Zahnfleisch, nach und nach den Kieferknochen und das Gewebe, welches die Zahnwurzel mit dem Knochen verbindet. Auch Parodontitis wird von Bakterien verursacht und entsteht schleichend über Jahrzehnte hinweg. Im Gegensatz zu Kariesschäden lässt sich der Zahnhalteapparat kaum reparieren – Zahnausfall ist die Folge. Schlimmer noch: Mit einer Parodontitis steigt das Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung.



Zahnfleischbluten ist ein klarer Hinweis auf eine Parodontitis. Jeder dritte über 40 Jahre ist betroffen – in diesem Alter verlieren mehr Menschen ihre Zähne durch unbehandeltes Zahnfleischbluten als durch Karies.



Außerdem kommt es häufig zu Mundgeruch, denn die Bakterien in den Zahnbelägen bilden oft intensiv riechende Schwefelverbindungen.

Mundhygiene heißt, Bakteriengemeinschaft stören

Zahnbürste, Zahnseide und Interdentalbürste entfernen sowohl sich frisch bildende Plaquestrukturen wie auch ältere strukturierte Plaque – oder desorganisieren zumindest die krankmachende Struktur. Denn auch darum geht es bei der Mundhygiene: Wird das strukturierte und sich selbst versorgende System von Bakterien in seiner schichtweisen Struktur durch eine gründliche Zahnreinigung nur schon beschädigt, so dauert es Tage, bis sich der Biofilm reorganisiert hat – und sein gefährliches Austauschsystem wieder in Gang kommt.



Konkret: Wer sowohl die Zähne wie auch die Interdentalräume richtig reinigt, hat beste Voraussetzungen, seine Zähne ein Leben lang zu behalten. Und dazu braucht es Zahnbürste, Interdentalbürste und Zahnseide.



Übrigens: Kariesschäden lassen sich reparieren. Gingivitis kann man heilen (und zwar ziemlich leicht mit Bürstchen und Seide). Parodontitis–Schäden lassen sich nicht mehr reparieren. Eine gute Zahnpflege lohnt sich also – zumal sie mit den richtigen Produkten eine richtige Freude sein kann.

Paradigmenwechsel in der Prophylaxe

Führende Zahnärzte haben ihre Prophylaxe längst auf die Bekämpfung von Parodontitis ausgerichtet und geben der Sicherung des Zahnhalteapparates erste Priorität. Aus einer modernen Parodontitis-Prophylaxe resultiert automatisch eine Karies-Prophylaxe, denn bei beiden Zielen geht es um dasselbe, nämlich Plaque zu entfernen. Schließlich ist sie der Grund sowohl für Karies wie auch für Gingivitis und in der Folge für Parodontitis.

Bilder © Curaden